Alain Delon/Jane Fonda
Lino Ventura
Elke Sommer
Sofia Loren/Carlo Ponti
Yves Montand (stehend)
Das Spiel für die Seele ( aus der Zeitschrift: Stern
)
Boule ist das gefühlvolle Werfen von Eisenkugeln über einen Sandplatz.
Vor allem aber: französische Lebenskunst pur. Mitmachen kann jeder.
Papazian ist Philosoph. Eine Berufsbezeichnung, die der Mensch im Süden Frankreichs auch ohne Studium führen kann. Eine dunkelgraue Baskenmütze beschattet sein zerfurchtes Gesicht. Er sitzt auf einer Bank unter Platanen auf der Place des Lices. Die Zigarette hält er in der linken Hand, als wollte er sie wiegen. In der rechten liegen zwei Eisenkugeln. Sie sind mit Kratzern und Kerben übersät. "Es gibt zwei Sorten von Männern", sagt Papazian. Er zieht an der Zigarette, Kunstpause. "Die einen hetzen auf dem Rasen wie die Verrückten dem Ball hinterher, Bon. Die anderen ...," er lächelt, so wie die Alten nun Erfahrung klug geworden sind, "die anderen schieben lieber eine ruhige Kugel." Voila, c'est ca. Das ist Boule.
Unternehmen wie Mercedes-Benz oder L'Oreal schicken ihre Führungskräfte zu Papazian nach St-Tropez. Er gibt den gestressten Managern, Handelsvertretern oder Ingenieuren zuerst die Kugel und lehrt sie dann, dass Boule "ein Spiel für die Seele" ist. Eine entspannte Lebensart. Ihr Geheimnis, so Papazian, laute: Erlerne die Ruhe des Südens! Überlass die Adrenalinschocks den Verrückten! Entspanne im gemütlichen Wettstreit!
Anders gesagt: Boule ist die konsequente Fortsetzung des Savoir-vivre.
Mit seinem Freund Jean Leger führt Papazian den Club "La Boule Tropezienne". Der penible und korrekte Jean ist der Vorsitzende. Der Charmeur Papazian gibt den Mann für die Außendarstellung, den idealen Repräsentanten für einen Ort wie St-Tropez. Das Fischerdorf gilt immer noch als Treffpunkt des Jetsets, der alternden Millionäre und der immer jungen Playboys. Für Boulespieler ist St- Tropez zudem ein "mythischer Ort", wie Jean behauptet. "Hier muss man gespielt haben!" In St-Tropez hat ein regelrechter Boule-Tourismus eingesetzt. "Auch wenn die meisten von ihnen noch nicht unser Niveau erreichen, wir lassen sie trotzdem mitspielen", sagt Jean. Manche der Gäste kommen mehrmals im Jahr, um den Alten ihre Tricks abzuschauen.
Die wunderschöne und altehrwürdige Place des Lices ist von Bars, Restaurants, Boutiquen, Hotels und Lebensmittelgeschäften umsäumt. Der Mittelpunkt des Lebens von St-Tropez. Eine ideale Bühne für Boule.
Das Schauspiel beginnt. Raymound der Poet tritt auf. Seine Glatze bedeckt eine beigefarbene Schiebermütze, die er niemals absetzt. Warum die
anderen ihn so nennen? Weil er ein Idealist ist, dem die Schönheit des Spiels über alles geht. Was er wirklich macht? Ist doch egal. Auf die Place des Lices kommen die Menschen, um zu vergessen,
was sie wirklich machen.
Raymound steht im Abwurfkreis wie im Scheinwerferlicht. Er setzt sich in Pose. Raymound ist ein "pointeur", einer, der das gefühlvolle Legen der
Eisenbälle möglichst nah an die kleine Zielkugel beherrscht, an das "cochonnet", das Schweinchen. Raymound streichelt seine Kugel, lässt sie locker in der Hand kreisen, um sie dann mit
traumhafter Sicherheit einen Zentimeter neben die hölzerne Sau zu platzieren.
Das ist vom Gegner kaum besser zu machen. Also muss Raymounds Kugel aus dem Weg geschossen werden. Noèl muss ran. Er ist der wortkarge
Sprengmeister, im Boule-Jargon "tireur" genannt. Die kompliziertesten Kugelstellungen bombt er mit einem einzigen Wurf auseinander. Meist
hält er seine rissigen Hände vor seiner Gürtelschnalle gekreuzt und beobachtet mit
zusammengepressten Lippen die Partie. Erst wenn er gebraucht wird, lebt er auf. Er haucht kurz in seine geballte Hand. Dann tritt er an. Bei ihm sieht der Wurf so aus, als schmeiße er eine
Handgranate in den feindlichen Graben.
Noel kann jedoch mehr als nur zerstören. Er liebt es, den schwierigsten aller Würfe zu bringen. Diesmal hat er ihn auch noch mit
einem "retro", einem Rückdrall, versehen. Seine Kugel knallt die feindliche weg; die reißt noch eine weitere mit, während Noèls Kugel plötzlich kehrt macht und auch noch zart gegen das anfangs
überrundete "cochonnet" tippt - der Königswurf!
Eigentlich ist Boule ein einfaches Spiel, kompliziert ist nur die Taktik. Die einen legen eine Kugel nahe ans Ziel, die anderen müssen entweder dichter ran oder die gegnerische wegschießen - aus dieser simplen Konstellation ergeben sich die vielfältigsten Möglichkeiten. Hier beginnt der so beliebte Boule-Ritus: fragen, schauen, beurteilen. Wie gut liegt die Kugel des Gegners? Legen oder schießen? Dann erst die Entscheidung, die Konzentration, der Wurf. Das "bien joue", der Jubel. Oder das "merde", das Lamentieren.
Während Papazian seine Kugel mit dem Lappen vom Staub säubert und sich auf seinen Wurf vorbereitet, lassen die anderen ihre Murmeln aus Eisen in den Händen aneinander klacken. Eine geradezu sinnliche Untermalung. Jeder hält die Kugeln auf seine Weise. Aber eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie sind zärtlich zu ihren Spielgeräten. Die Finger tasten gedankenvoll die Rundungen ab. Niemals legen sie ihre Kugeln beiseite. Es hat schon etwas Machohaftes, wie sie ihre Boulekugeln behandeln. Eben noch liebevoll von allen zehn Fingern umworben, Sekundenbruchteile später Bombe, Rammbock, Geschoss.
Papazian bringt sich in Stellung. Er lässt seine Kugel durch die Finger gleiten und beschwört die magische Freundschaft zwischen Hand und Eisen: "Ist die nicht da, kann man auch nicht gut spielen."
Papazian ist ein Künstler, der die graziösesten Würfe inszeniert. Der Verlauf der Kugel spiegelt sich in seiner Mimik wider. Er möchte, dass sie
seiner Stimme gehorcht. Er beschleunigt oder bremst ihren Lauf. Er feuert sie durch Gesten an und treibt sie durch Schulterbewegungen nach vorn. Er mäßigt sie mit der Hand; auf Zehenspitzen
tänzelnd, mit ausgestreckten Armen verleiht er seinem Körper die eigenartigsten Bewegungen. Es scheint, als sei seine Seele in die Kugel gewandert - der Eisenball rollt so nah an das
"cochonnet", dass nicht mal ein Blatt Papier dazwischenpasst. Papazian ist mal wieder von sich selbst überwältigt. Er reißt die Arme hoch: "Ich bin ein Siegertyp!"
In der nächsten Runde verliert Papazian mit seinen Partnern, weil er den letzten Wurf total vermasselt.
Was Sie vom Boule-Spielen für den Job lernen können (FOCUS-Online v. 11.01.2015)
Fairness, Freundlichkeit und Mitgefühl begegnet FOCUS-Online-Expertin Ilona Bürgel beim Boule-Spielen.
Und das wünscht sie sich auch für ihren Arbeitsalltag.
Arbeiten Sie so viel und so, wie Sie arbeiten wollen?
Zumindest letzteres kann ich vollkommen bejahen. Für ersteres erwische ich mich gerade einmal wieder dabei, dass ich zu viele Stunden arbeite. Da meine Arbeit mir sehr viel Freude bereitet, mich interessiert und ich viel lerne, kurzum es immer gute Argumente gibt, weiter zu arbeiten, brauche ich einen guten Grund, das zu ändern. Den habe ich gefunden:
Ich spiele ab sofort Boule, auch Pétanque genannt.
Die Einstellung macht alles anders!
Alles ist hier anders. Ganz französisch sind nicht nur die Fachbegriffe, sondern auch die – zumindest wohl von uns dem Süden zugeordneten – Haltungen.
Wann immer ich zum Spielen gehe, gehe ich in eine andere Welt. Ich gehe ins Freie und sehe den Himmel. Ich treffe vergnügte, entspannte Menschen. Wir sprechen uns mit dem Vornamen an. Wir üben uns in Geduld.
Da es nur Zeiträume zum Spielen gibt, also etwa ab 14 Uhr, kann es gut sein, dass, wenn ich um 15 Uhr komme, gerade alle Spiele laufen und ich warten muss, bis das nächste beginnt und neue Spieler aufgenommen werden.
Als Anfänger finde ich es besonders wohltuend, dass ständig gelobt und ermutigt wird. Du hast eine Kugel weit hinter die zu treffende platziert? Immerhin war die Richtung passend. Du hast einen Stein getroffen? Macht nichts, das kann jedem passieren.
Natürlich gibt es Erwartungsdruck, denn jeder will mit seinem Team gewinnen. Doch es gibt noch viel mehr Fairness, Freundlichkeit und Mitgefühl. Alle lernen von allen. Und alle haben Zeit. Drei, vier, fünf Stunden werden auf dem Platz verbracht. Was für ein Geschenk!
Jeder ist willkommen. Ob alt oder jung, krank oder gesund, die Freude am Spiel verbindet. Je öfter man dabei ist, umso leichter wird es, ins Gespräch zu kommen. Über den Urlaub, über die Kugeln – wo kauft man die besten, die Wettkämpfe, den neuen Platz. Nach einer Weile fiel mir auf, dass keiner von seiner Arbeit berichtet.
Arbeit ist Leben und Leben ist Arbeit?
Zunächst – wunderbar. Begegnet mir doch all zu oft genau das Gegenteil. Vor allem, wenn geklagt wird, wiederholen wir die ungerechten oder unangenehmen Begebenheiten des Alltags immer wieder und festigen so unser Unwohlsein und unseren Stress mit der Arbeit.
Ich komme mit einem Mitspieler ins Gespräch, von dem ich weiß, was er beruflich tut, da ich einmal gefragt habe. Wir haben uns länger nicht gesehen und ich frage „wie war der Sommer"? „Es ist nicht so toll gelaufen“, ist seine Antwort.
Ich denke, er spricht über seine Arbeit und bin verwundert, denn seiner Branche müsste es im Sommer gut gehen. Doch er spricht über die Wettkämpfe. Es wird wohl höchste Zeit für mich, etwas zu ändern, wenn ich immer nur an Arbeit denke?
Kugelsicher unter Platanen (aus der Zeitschrift: merian)
Boule ist die schönste Art, einen Nachmittag zu vertrödeln. Der Tod der Hektik, die Antidroge des Adrenalins. Hier ein Annäherungsversuch an Flugkurven, Schweinchen und eingekreiste Füße.
Die Reise beginnt mit den Ohren. Schließe die Augen, lausche dem Klang der Provence.
Ist es das Zirpen der Arkaden? Das Rauschen des Mistral? Nein, es ist das Knirschen von Sohlen auf Kies; das Reiben von Metall an Metall in derben Männerhänden; der melodische Disput knorriger Stimmen; das Kullern der Kugel über den holprigen Boden; und dann der satte metallische Schlag wie der des Hammers auf den Meißel, wenn der perfekte Wurf gelingt, das carreau: der Treffer, der die störende Kugel wegbefördert und die geworfene genau dort liegen lässt. Dann ein anerkennendes Murmeln: "Bien jouè".
Und wieder das Knirschen von Sohlen auf Kies. Nie wird man hier einen Jogger hecheln hören. Und nie, nie bimmelt ein Mobiltelefon.
Augen auf - zum Boule. Oder, nehmen wir es genauer: Pètanque. Das ist viel mehr als ein Hörspiel. Es ist das Spiel des Lebens, des
französischen jedenfalls. Ein linder Samstagnachmittag in Eygalières, eine Bank unter Platanen. Ein concours. So nennen sie hier die kleinen dörflichen Wettbewerbe, bei denen sich
Wochenende für Wochenende in der ganzen Provence ein paar 1000 Boulisten die Kugel geben. Renaults, Peugeots und Citroens halten auf dem Parkplatz, der auch der Boule-Platz ist. Aus den
Kofferräumen werden geheimnisvolle Utensilien gekramt.
An der bröckelnden Mauer ein kleines Plakat: 20 Francs Teilnahmegebühr, 200 Francs Prämie für jeden, der am Ende im siegreichen
Dreier-Team steht. Zuschauen kostet nichts. Dabei ist es wie ein Hauptgewinn. Pètanque in der Provence, das ist ein kleines Volkstheater des Südens.
Nennen wir das Schauspiel "Die Jagd nach dem Schweinchen". Ein ganz ruhiges, kleinbürgerliches, heiteres Stück. Mit Gesichtern, die Geschichten erzählen. Mit Figuren, die das Panoptikum gallischer Vitalität in Hochform erleben lassen. Aufgeführt wird es für den Franko-, also Boulophilen sogar im winzigsten Ort, auf Kies- und Schotterplätzen am Rande der Dörfer und im flimmernden Schatten der Platanen auf den Ringboulevards der Städte.
Bühne frei. Es tritt auf der liebenswerte Debattierer, der den Spielfluss hemmen wird mit der nie perfekt zu beantwortenden Dauerfrage "Tirer ou pointer'' - werfen oder legen? Wenn der Spieler am Wurf nicht auf seinen Rat hört, dann wirft er die Arme hoch und ruft: "Oh là là !'' Die nächste Rolle hat der Boule-Künstler, der über den Platz stolziert wie ein Gockel und dessen Fehlwürfe bei den anderen leise Häme auslösen. Dann gibt es den wortkargen Vollstrecker, der komplizierteste Dessins mit einem einzigen gewagten Wurf zu sprengen versteht; wenn das aber misslingt, wird er ein leises "merde" durch den Rauch seiner "Gitanes" pressen. Es gibt den lächelnden Giftmischer, der dem misslungenen Wurf des Gegners ein gönnerhaftes "Die Idee war gut" hinterherschickt.
Junge und jüngere Männer sind auch da: sie bewegen sich wie die Eidechsen in der Sonne. Aber entscheidend prägen das Bühnenbild die Alten und
Ãlteren, die all die behagliche Behäbigkeit des Spiels in ihre eigene Körpersprache übersetzt haben - die sich nicht einmal unnötig bücken nach den Kugeln, sondern sie am Magnetband
hochschnappen lassen wie das Chamäleon die Fliege an der Zunge.
Es ist unverkennbar die Bühne der Älteren. Da stellen sie sich hin in den rond, den kleinen Kreis, der mit dem Stock um ihre Füße in den Staub
gekratzt ist; visieren ihr Ziel an, spannen sich, gebeugt, aber voller Haltung, krümmen Unterarm und Handgelenk bogenförmig nach hinten - und in einer unerwartet leichten, ja, grazilen Bewegung
schieben, schießen, schleudern sie das Metall dorthin, wo es denn hin muss.
Oder nicht? Jedenfalls muss darüber diskutiert werden, und das tun sie mit Wonne. Und Ausdauer. Sie haben die Ruhe weg. Dabei ist ihre Zeit begrenzt. Denn um halb sechs ist die Aufführung vorbei. Dann verschwinden sie wieder Richtung Ehefrau und Abendessen. Während des Spiels wird man nie jemanden beim Imbiss erleben, keinen mit Kühltasche oder Picknickkoffer. Zwei viel zu wichtige Dinge, als dass man sie verquicken dürfte: Boule und Essen.
Das Unwiderstehliche an Pètanque
DAS UNWIDERSTEHLICHE an Pètanque: Es ist ein Sport, der das Altwerden nicht zum Verfallsdatum macht, dem Alter Würde, ja, sogar Grazie lässt. Überall auf den Bühnen der Provence wird das sichtbar: auf dem Spielfeld beim Friedhof von Goult, dem Parkplatz von Venasque oder auf der Place von Eygalières. Nachmittags zwischen drei und halb vier kommen die Männer mit ihrem Kugelsack und Klappstuhl an, manche gebrechlich, einige von scheinbar abgrundtiefer Müdigkeit. Männer, die sich im Angesicht der Kugel auf geheimnisvolle Weise verändern, plötzlich Kraft und Autorität ausstrahlen.
Diese Verwandlung spiegelt auch die Geschichte des Pètanque, das aus dem raumgreifenderen boule provencal hervorgegangen ist.